War-Eagle "IKV SuSghar", Bordzeit 9611,6

pavs . gen Corin Nohut !

Mein Dienstzyklus an Bord ist zu Ende, und ich habe mich in meine Datenbank eingelogt. Meist speichere ich darin nur die Informationen des Tages und rufe ab, was an Nachrichten eingegangen ist. Wir Borg im Alpha-Quadranten sind dazu übergegangen, Gedanken nicht mehr sofort, sondern mit Zeitverzögerung zu übermitteln. Dazu haben wir unsere externen Com-Codes. Da wir nicht mehr als Kollektiv vernetzt sind und eigenständig entscheiden und handeln müssen, ist es so besser. Es treffen ein bis mehrmals täglich diverse Datenmangen ein, die ich in meiner dienstfreien Zeit verarbeite. Selbstverständlich versende ich auch solche Daten; sorgfältig verschlüsselt und komprimiert.

Ein Teil Deiner Mitteilungen ist mir noch etwas unverständlich. Vielleicht liegt es an der kurzen Zeit unserer neuen Entwicklung. Ich werde also versuchen, Deine Informationen zu verarbeiten.

Bis dahin reflektiere ich einige Passagen Deines Briefes.

Nein, die Klingonen haben mich nicht angegriffen. Sie sind nur öfters zu Streit und Raufereien aufgelegt. Sie trinken gern und viel (in letzter Zeit zu oft und zu viel) und wollen dann ihre Kräfte messen. Und wenn dann der eine oder andere auf mich herabblickt... (viele sind eben sehr groß) Mein Captain meinte dazu lediglich, daß ich mir nichts gefallen lassen soll; Klingonen würden außerdem eine Menge vertragen. Also verschaffte ich mir schnell und eindrucksvoll Respekt.

Unser Schiff ist zwar waffenstark, aber es ist kein Kriegsschiff. Der Name "SuSghar" bedeutet "Diplomatische Schwinge". War-Eagle ist lediglich der Schiffstyp. Anfangs hatten wir sogar eine cardassianische Botschafterin an Bord. Doch sie verließ uns und kehrte nach Cardassia Prime zurück. Noch heute lese ich in ihren detaillierten und peinlich genau geführten Datenmodulen. (Sie ließ ein paar für mich da.)

War es wirklich Zufall, daß Dein Brief seinen Weg ausgerechnet zu mir fand, zu Soltres, dem einzigen Borg in der klingonischen Flotte?

Zu den Menschen hatte ich persönlich nur wenige Kontakte. Unser Anführer, Menschen gaben ihm den Namen Hugh, vermittelte uns Informationen und Erfahrungen zu den Begriffen "Freund" und "Freundschaft".

Auch einige Klingonen nennen sich meine Freunde. Inzwischen kenne ich aber auch Vertreter anderer Rassen. Man unterhält sich und tauscht Informationen aus. Effektiv ist es nicht. Manchmal frage ich mich, wie diese Zivilisationen überleben konnten. Ihre Datenwege sind so ineffizient! Wie einfach ist doch ein kollektives Bewußtsein dagegen... Unmengen von Daten können vernetzt verarbeitet werden. Jeder Borg ist ein Teil dieses Netzes und hat seine Funktion. Der Zweck seines Daseins ist, das Kollektiv zu unterstützen. All seine Erfahrungen gehen auf die Gesamtheit über.

Du fragst, ob wir Instinkte und Gefühle haben. Das ist nicht so einfach zu beantworten, muß aber der Einfachheit halber mit JA beantwortet werden. Das Komplizierte an unserer neuen Lebensweise, die so völlig unvorbereitet begann, waren vor allem neue und daher unbekannte Gefühle, die wir nicht gleich bewältigen konnten. In diesem Zusammenhang fällt mir eine ausführliche Dokumentation über staatenbildende Insekten ein - Ein funktionierendes System, das lebensfähig bleibt, selbst wenn ein Teil davon entfernt wird. Unser Schiff war solch ein Teil. Für die Große Gemeinschaft spielt dieser Verlust kaum eine Rolle, man registrierte es lediglich. (Ist so etwas gefühllos? Oder ist es nur funktionell? Steht nicht auch die Logik über den Gefühlen?)

Wir dagegen hatten unvorstellbare Probleme, die normalsten Dinge funktionierten plötzlich nicht mehr. Wenn Du die Informationen der Föderation zu diesen Ereignissen gelesen hast, wirst Du sicher verstehen, was ich damit ausdrücken will...

Das Schlimmste waren nicht Energiemangel und Orientierungslosigkeit, sondern die plötzlich auftretende Frage nach dem Sinn und dem Zweck der eigenen Existenz. Die Menschen formulieren es als den &bdquoSinn des Lebens&ldquo.

Durch die tiefe Verwurzelung der Klingonen mit ihren alten Werten und Traditionen, fällt es ihnen leichter, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Leider verkommt der Begriff der EHRE in letzter Zeit zu der Phrase &bdquoDer Stärkerer ist im Recht&ldquo.

Sollten die Klingonen in folge des Friedensvertrages mit der Föderation an ihrer Existenzfrage berührt worden sein?

Wenn das, was man früher getan hat, ob aus Überzeugung oder Gewohnheit, auf einmal nicht mehr richtig ist - hat man dann die ganze Zeit über etwas Falsches getan?

Auch ich stelle mir oft diese Frage. War es richtig, Zivilisationen zu assimilieren (und sie in ihrer bestehenden Daseinform zu vernichten), wenn das Sammeln von Informationen auch anders geht?

Nein, die Klingonen sind weder rückständig noch naiv. Sie befinden sich vielmehr in einer Zeit der Umwandlung. Sie versuchen ihre Werte zu erhalten, ihre Kultur. Dabei machen sie den Fehler, Stärke demonstrieren zu müssen, um ihre Gemeinschaft zu festigen.

Auch wir taten es, unter der Führung von Lore. Wir folgten ihm bereitwillig (oder war es schon freudig?), damit das Chaos ein Ende habe und er unserer Existenz wieder einen Sinn gäbe. Es ist so einfach, starken Befehlen zu folgen. Erfolge bereiten Freude...

Es hätte uns fast vernichtet!

Ich hoffe daß das Kliungonische Imperium diese Erfahrung nicht machen muß.

 

Die Zeit vergeht schnell, wenn man Gedanken formuliert, um sie festzuhalten. Das ist eine neue Erfahrung für mich. Normalerweise sind meine Mitteilungen eher kurz und präzise.

Ich habe sonst nicht viel Gelegenheit zu formulieren. Klingonen umschreiben auch nicht so viel, sie sagen direkt, was sie wollen - ohne Umschweife, ohne verblümte Höflichkeit - voller Stolz und Überzeugung. Manchmal eben auch mit den Fäusten.

Ob ich während der Regenerations-Phase träume? Ja, das tue ich. Oft sehe ich mich dann mit den anderen in den Gängen vom "CUBUS 22".

Ist das Heimweh?

Ich weiß nicht, ob es vor der Veränderung besser war. Was dieses ruhige geordnete Leben besser oder schlechter oder nur anders? Es gibt kein Zurück für uns. Einmal erwachte Individualität läßt sich nicht mehr in die Große Gemeinschaft einfügen.

Manchmal fühle ich mich einsam, dann beschäftige ich mich mit Computerprogrammen und Datenbanken. Es gibt viel zu lernen und zu erfahren. Unsere kleine Gemeinschaft kann jede Erfahrung gebrauchen. Informationen allein sind nicht ausreichend, um ein Bewußtsein zu entwickeln.

Nun, ganz einsam bin ich nicht. Ich habe immer die Möglichkeit, mit den anderen Borg zu kommunizieren. Wenn es notwendig ist, können wir uns fast sofort zusammenschalten. Es ist also immer jemand für mich da.

Manchmal, wenn mir hier alles so fremd ist, nutze ich diese Möglichkeit. Ein Gedankenaustausch von Borg zu Borg kann sehr intensiv sein, da er nicht durch Sprache gefiltert werden muß. So bilden wir ein kleines Kollektiv, fern unserer neuen Heimat.

Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie es ist, seine Individualität zu verlieren. Ich habe eher Probleme, sie zu entwickeln. Der Einzelne war dem Kollektiv wichtig, obwohl es sicher anders aussah. Noch heute haben wir die Erinnerungen aller, die zu uns gehörten...

 

Ich muß weg, eine Lieferung Ersatzteile kommt gerade. Ich muß sie kontrollieren. (Klingonen sind dabei etwas nachlässig...)

 

dayvs . ge . ve

 

Soltres (2/7)