Sei gegrüßt, Vid

Fast habe ich den Eindruck, daß Du Matano etwas bedauerst, da er mich mit so viel Aufwand und Engagement betreut. Für ihn ist das aber nicht nur eine Pflicht, die ihm unser Clan auferlegt hat. Ich weiß nicht, ob er es Dir bereits gesagt hat, ich bin ohne Zweifel seine Lieblingsschwester. Das beruht auf Gegenseitigkeit und wir verstehen uns wirklich sehr gut. Schon seit frühester Kindheit habe ich ihn bewundert und mir atemlos seine Erlebnisse angehört. - Als er auf seinen letzten Reisezyklus verzichten sollte, sah er es nicht als lästige Pflicht. Ich weiß, er würde alles für mich tun. Es liegt jetzt an mir, ihn nicht zu enttäuschen, zu zeigen, daß ich sein Vertrauen verdiene und seine Erwartungen erfülle...

Die Ausbildung in den letzten drei Zyklen war sehr streng und mühevoll. Ich habe dabei viele neue Seiten meiner Person kennengelernt. - Vielleicht kennst Du ja in gewisser Weise selbst diese Simulationen, denen man ausgesetzt wird, um annähernd Theorie und Praxis zu verbinden.

Nach meinem ersten Test war ich völlig verzweifelt, da ich mich den Anforderungen nicht gewachsen fühlte. Die Abschirmung der Gedanken, die Entfaltung der mentalen Schranken, das ist nur eine von mehreren Grundvoraussetzungen, um in die Kaste der Reisenden zu gelangen. Eine umfassende Ausbildung folgt den mentalen Prüfungen.

Nun, der erste umfassende Test verlief also ganz anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich war hin und her gerissen zwischen den Emotionen, die er in meinem Innersten aufwühlte. Die nüchternen Betrachtungsweise eines Forschers liegt mir nicht, stets ist mein Herz dabei. - Zuviel, wie Matano oft bemängelt. Er hat recht, doch ich bin noch zu unerfahren...

Du wolltest wissen, wie diese Tests ablaufen, auf welche Art und Weise uns Wissen und Erfahrungen übermittelt werden. Von den Anfängen meiner Ausbildung darf ich Dir auf diesem Weg berichten, weiter Informationen werde ich Dir nur mündlich mitteilen.

 

Meine erste Aufgabe war eine Art Eingangstest und dauerte eine ganze Phase (das sind 20 Tage, bei uns ein Monat). Ich hatte mich lange und umfassend vorbereitet und stellte mich zuversichtlich der Herausforderung - einer Realsimulation.

Mein Bewußtsein erwachte in einer fremden Welt und ich verfügte über die gesamte technische Ausrüstung einer Migo.

Schon der erste Eindruck überwältigte mich - noch nie zuvor hatte ich unter einem Sternenhimmel gestanden.

Doch damals ging alles recht schnell und daneben. Ich geriet von einer Schwierigkeit in die nächste, auch die Technik entzog sich trotz aller Bemühungen oftmals meiner Steuerung. Man gönnte mir keine Pause, keinen Ausweg. - Das Leben wartet nicht, bis man bereit ist.

Und so durchlebte ich zum ersten mal Kälte und Hitze, Hunger, Durst, Übermüdung und Erschöpfung. Mehrere male erlitt ich Verletzungen, hatte Schmerzen und Angst.

Nach einiger Zeit verfluchte ich den Tag des Beginns, mußte aber ständig an meinen geliebten Bruder denken, der all diese Schwierigkeiten gemeistert hatte. Aufgeben wollte ich nicht, doch das Zeitgefühl hatte ich bald gänzlich verloren. Alles schien nur noch eine nicht enden wollende Abfolge von Fehlschlägen und Qualen zu sein. Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Die Portale öffneten sich nicht oder verloren den Zielfokus. - Unkontrolliert in eine andere Welt zu gehen, das kann verhängnisvoll sein, wenn man die Technologie nicht im Griff hat. Am Ende meinen Kräfte "starb" ich mehrere male, was nicht gerade motivierend wirkte. Schließlich glaubte ich, daß ich niemals ein Reisender werden könne.

Obwohl alles nur eine Simulation war, aus der ich jederzeit hätte aussteigen können, brach ich sie nicht ab. - Vielleicht war es nur noch eine Trotzreaktion...

Ich erreichte nichts von dem, was ich gelernt und mir vorgestellt hatte, wovon mir die anderen sooft berichteten. Meine Kontakte zu fremden Spezies endeten mehrfach mit Mißverständnissen, Ablehnungen oder Konfrontation. Die technische Ausrüstung beherrschte ich auch nicht gut. - Als der Test endlich zu Ende ging, folgte ich bereitwillig dem Rückruf und dem sich öffnenden letzten Portal.

Ziemlich deprimiert und geschwächt ging ich nach Hause, wollte niemanden sehen - auch nicht Matano. Ich weinte mich in den Schlaf, der nach den vorangegangenen Anstrengungen nicht lange auf sich warten lies und fast zwei volle Tage dauerte...

Als mein Bruder mich danach fragte, was ich vorhabe, stellte er keinerlei Fragen zum Verlauf des Testes. - Doch was sollte ich ihm antworten? Es erneut versuchen, nachdem ich so kläglich gescheitert war? Oder einfach aufgeben?!? - Ich weinte mich in seinen Armen aus. Er riet mir, auf meine innere Stimme zu hören. Nie werde ich sein sanftes Lächeln vergessen und seine Worte - »Du kannst es schaffen, wenn Du es wirklich willst. Niemand weiß das besser als ich.«

Oh, wie habe ich damals diesen Test verflucht, weil er mich so völlig fertig gemacht hatte...

Als ich dem Rat mitteilte, daß ich es erneut versuchen wolle, wiesen sie mich darauf hin, daß die anderen Prüfungen viel komplizierter sein würden - wo ich doch schon beim ersten Test so versagt hätte.

Schon vom nächsten Tag an widmete ich meine ganze Zeit weiteren Studien. Ich wollte nicht aufgeben! - Aber ich wollte niemandem etwas beweisen, nur mir selbst.

Erst viel später erfuhr ich, daß dieser spezielle Test nur das Ziel hat, starke Charaktäre von schwachen zu trennen. Es ist volle Absicht, daß nichts gelingt, nichts gelingen kann! Es kommt auch gar nicht darauf an. Entscheidend ist nur, wie der Prüfling sich während der Simulation verhält und welche Entscheidung er danach trifft.

Matano hatte damals seine erste Simulation vorzeitig abgebrochen, wie es noch immer die meisten tun. Er war so stolz auf mich gewesen, weil ich zu den wenigen gehörte, die durchhielten. (Wie schwer muß es ihm angesichts meiner endlosen Tränen gefallen sein, die Wahrheit zu verbergen.)

Und jetzt bin ich auf Vulcan, es ist meine erste Reise als Erfahrung Suchende. - Daß mein Bruder mich begleitet, ist ein besonderer Umstand für mich, wie für ihn auch. Es mag sein, daß ich ihn anstrenge. Aber er erträgt geduldig meine vielen Fragen, meine unkonzentrierten Stunden, meine emotionale Betroffenheit.

Hier lerne ich sehr viel und auf eine unvergleichliche Weise. Und wenn Matano etwas von mir fordert, so weiß ich längst, daß er mehr von mir verlangt, als ich beherrschen müßte. Er spornt mich zu Höchstleistungen an, sei es bei der Öffnung von Portalen, der Zielsteuerung, der Anwendung von Anti-Grav-Modulen, Schildgeneratoren, des Holoprojektors und anderer Systeme. - All diese Technologie muß mental gesteuert werden! Und je mehr ich lerne, um so mehr bewundere ich Matano, der das alles längst perfekt beherrscht.....

 

Laß mich diesen Brief nun beenden. Ich würde mich freuen, wenn wir uns wieder begegnen...

 

 

Torana, ( Migo) Erfahrung Suchende auf der ersten Reise